Fortschreiten der
Alzheimer-Erkrankung an einzelnen Neuronen zu sehen
Bei Studien an einem
Mausmodell zur Alzheimer-Erkrankung entdeckten Neurowissenschaftler der Technischen Universität München (TUM) einen Zusammenhang zwischen einem Anstieg
von löslichem sowie von plaquebildendem Beta-Amyloid – einem an der Entstehung
der Erkrankung beteiligten Markerprotein – und einer Reihe von Fehlfunktionen in
unterschiedlichen Bereichen: auf der Ebene einzelner kortikaler Neuronen, bei
neuronalen Verschaltungen, in der Wahrnehmung und auch im Verhalten. Diese
Ergebnisse, die in der Zeitschrift Nature Communications veröffentlicht wurden,
zeigen, dass die unterschiedlichen Veränderungen gleichzeitig auftreten und
spezifisch für die einzelnen Phasen der Alzheimer-Erkrankung sind.
Neben den bekannten verheerenden
Auswirkungen auf Gedächtnis und Lernfähigkeit kann die Alzheimer-Erkrankung auch
zu Störungen im Geruchssinn und im Sehvermögen führen. Diese
Wahrnehmungsveränderungen treten typischerweise nur in fortgeschrittenen Stadien
der Erkrankung auf. In einer aktuellen Studie wird nun detailliert beleuchtet,
welche Prozesse im Verlauf der Krankheitsentstehung auftreten und welche
Bereiche im Kortex des Gehirns dabei für die Verarbeitung von visuellen
Informationen verantwortlich sind. Ein Team unter der Leitung von Prof. Arthur
Konnerth, einem Carl von Linde Senior Fellow des TUM Institute for Advanced
Study, konnte diese mit der Alzheimer-Erkrankung einhergehenden Veränderungen im
visuellen Kortex auf der Ebene einzelner Zellen beobachten.
Mit einer speziellen
Mikroskopiertechnik, der Zwei-Photonen-Fluoreszenzmikroskopie, konnten die
Forscher sowohl die spontane als auch eine durch äußere Reize induzierte
Signalaktivität einzelner Neuronen bei lebenden Mäusen messen. Die Versuchstiere
waren transgene Mäuse mit Mutationen, die bei Menschen für die Entstehung der
Alzheimer-Erkrankung verantwortlich sind, dazu eine Kontrollgruppe von nicht
veränderten Wildtyp-Mäusen. Mit Hilfe eines Sehtests, bei dem ein einfaches
Gittermuster aus einzelnen hellen und dunklen Balken vor den Augen der Mäuse
bewegt wird, konnten die Forscher zeigen, wie einzelne Nervenverschaltungen in
der Sehrinde je nach Orientierung und Richtung dieser Bewegungen aktiviert
werden.
Prof. Konnerth erklärt diesen
Mechanismus so: „Wie auch viele Alzheimer-Patienten haben diese erkrankten Mäuse
Schwierigkeiten, einzelne Objekte in ihrem Blickfeld voneinander zu
unterscheiden. Wir konnten einzelne Bewegungsneuronen in der Sehrinde
identifizieren, deren Funktionalität stark eingeschränkt ist. Unsere Ergebnisse
geben somit wichtige Einblicke in die möglichen Ursachen dieser Störung.“ Die
Forscher fanden zwei Subgruppen von Bewegungsneuronen, deren Aktivität in ganz
unterschiedlicher Art und Weise verändert war. Eine Subgruppe von Neuronen, die
wohl am frühesten von degenerativen Prozessen betroffen ist, zeigte in diesem
Sehtest keinerlei Aktivität, während die zweite Gruppe von Neuronen eine
pathologisch erhöhte Aktivität zeigte, wodurch die Bewegungsneuronen die Objekte
im Blickfeld der Mäuse nicht mehr korrekt wahrnehmen konnten. „Während etwa die
Hälfte der Neuronen in der Sehrinde auf die eine oder andere Art verändert war,
zeigte die andere Hälfte weiterhin eine normale Funktionalität“, erklärt
Christine Grienberger, Doktorandin in der Arbeitsgruppe Konnerth und Erstautorin
dieser Publikation. „Diese Beobachtungen könnten für die weitere Forschung im
Bereich der Alzheimer-Erkrankung eine große Rolle spielen, da sie die Frage
aufwerfen, ob wir uns für künftige Untersuchungen allein auf diese Population
von Neuronen mit einer Funktionsstörung konzentrieren sollten.“
Die In-vivo-Experimente auf der
Ebene einzelner Neuronen wurden mit Versuchstieren in drei verschiedenen
Altersgruppen durchgeführt, die den einzelnen Stadien dieser fortschreitenden
neurodegenerativen Erkrankung entsprechen. Die Ergebnisse wurden mit anderen
Beobachtungen verglichen, etwa den gemessenen Werten an löslichem Beta-Amyloid
und auch der Dichte von Amyloid-Plaques im Gehirn. Die Forscher zeigen hier zum
ersten Mal, dass auf neuronaler Ebene im Kortex ein fortschreitender Verlust an
Funktionalität beobachtet werden kann. Prof. Konnerth erläutert die Bedeutung
dieser Ergebnisse: „Eine wichtige Erkenntnis dieser Studie ist, dass die im
Zusammenhang mit der Alzheimer-Erkrankung beobachteten Veränderungen auf allen
Ebenen gleichzeitig in einer klaren zeitlichen Abfolge auftreten – im Verhalten
genauso wie in Form von neuronalen Funktionsstörungen oder sichtbar anhand der
Dichte an Amyloid-Plaques im erkrankten Gehirn. In Zukunft könnte der Nachweis
solcher Veränderungen in der Differentialdiagnostik helfen, um bei den
betroffenen Patienten eine für dieses Krankheitsstadium passende Therapie
einzusetzen und damit Nebenwirkungen der Behandlung zu verringern.“
Diese Forschungsarbeiten wurden
unterstützt durch die Exzellenzinitiative des Bundes und der Länder (TUM-IAS,
CIPISM), durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG, IRTG 1373); ERAnet und
durch die Friedrich-Schiedel-Stiftung.
Originalveröffentlichung:
Staged decline of neuronal
function in vivo in an animal model of Alzheimer's disease
Christine Grienberger, Nathalie
L. Rochefort, Helmuth Adelsberger, Horst A. Henning, Daniel N. Hill, Julia
Reichwald, Matthias Staufenbiel und Arthur Konnerth
Nature Communications, 10. April
2012 DOI: 10.1038/ncomms1783
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